ALFONSINA STORNI & DAS THEATER mit Hildegard Keller sprach Felix Schenker I W E V R E T N I Alfonsina Storni liebte das Theater. In Ihrer Biografie erzählen Sie von dieser unbekannten Passion. Wie kam es dazu? Hildegard Keller: Schon als Jugendliche träumte Storni vom Theater und kam als junges Talent zur Truppe eines berühmten spanischen Schauspielers. Bei diesem Wandertheater erhielt sie ein «training on the job» und spielte in Nebenrollen, auch in Stücken von Ibsen, während die Truppe durch die Provinz reiste. Danach wollte sie nicht Schauspielerin werden, sondern selbst Komödien schreiben. Sie verfügte über die Gabe des Wortes, mit dem man Welten erschaffen und auf die Bühne bringen kann – selbst wenn man das damals nur Männern zugestand. Nicht nur in der Literatur, in Gesellschaft und Politik, sondern auch im Theater musste eine Frau sich ihren Platz erkämpfen. Storni begann dort, wo Männer höchstens lächelten, weil es «nur» um Kindertheater ging. In Buenos Aires begann Storni an der städtischen Kindertheaterschule zu unterrichten und tat das bis zum Ende ihres Lebens. Sie schrieb und inszenierte mit den Kindern ihre eigenen Theaterstücke, auch Pantomimen und Musiktheater. Sie baute populäre Helden ein wie Charly Chaplin und Micky Maus, man kann sich gut vorstellen, was für ein Gaudi das gewesen sein muss – aber feinsinnig, subtil, poetisch. War sie glücklich mit dem Kindertheater? Ja, sie liebte die Kreativität von Kindern, philosophierte gern mit ihnen und schrieb auch über ihre Lebensweisheit. Die Tricks der Erwachsenenwelt – Verstellung, Heuchelei und Manipulation – verfälschen das Spiel von Kindern noch nicht, Storni kann freier Theater machen und zugleich ihre Persönlichkeit entfalten helfen. Sie erzählte, wie die Kinder es kaum erwarten konnten, bis ein Stück, an dem Storni gerade schrieb, fertig würde, wie heftig sie sie bestürmten, wie sie sich begeistern konnten. Storni war Humanistin und mit viel Liebe bei der Sache. Gab sich Storni also mit Micky Maus und den Kindern zufrieden? Natürlich nicht! Storni lebte ihre Freiheit so radikal es damals ging. Sie wollte Gleichstellung der Geschlechter, eine angstfreie Lebenshaltung, die neue Frau, die es in Wirklichkeit noch kaum gab, schon mal auf der Bühne lebendig machen. Sie hoffte: Was man sehen und hören kann, wirkt nicht mehr so schrecklich und die Menschen verlieren die Angst vor Neuem. Storni schrieb Stück um Stück, arbeitete mit professionellen Schauspielerinnen, wurde Dozentin am Konservatorium für Musik und Schauspiel und Theaterautorin. 1927 kam es tatsächlich zur ersten Uraufführung von einem Theaterstück von Alfonsina Storni. Wie ging das über die Bühne? Oberflächlich betrachtet gut, erfolgreich, schliesslich wurde Storni damit zu einer der ersten aufgeführten Theaterautorinnen. Im Publikum war viel Prominenz aus Politik und Gesellschaft,