Der fiktive Animations-Part in Ihrem Film entstand aufgrund fehlender Fakten? Nicht nur. Ich habe damals den dokumentarischen Animationsfilm «Waltz with Bashir» gesehen, der mich sehr begeisterte. Bei diesem Film gefielen mir ganz besonders jene Szenen, die subjektiv und surreal sind und wo der Regisseur mit Symbolbildern arbeitete, um die Gefühle einer Person rüberzubringen. Andere Teile dieses Filmes hingegen, die in Animationen das Reale wiedergeben, fand ich etwas weniger überzeugend. Ich finde, dass die Animation im Bereich der Emotionen in Bezug auf komplexe Themen sehr stark ist. Es gibt aber andere Bereiche, in denen der Dokumentarfilm sehr viel mehr leisten kann. In jener Szene in meinem Film beispielsweise, wo Chris’ Mutter vom Tod ihres Sohnes erzählt, passiert so viel an Mimik in ihrem Gesicht, die man zeichnerisch fast nicht rüberbringen kann. Genau aus diesen Umständen heraus ist der Wunsch in mir entstanden, diese beiden Formen zu kombinieren. Aber ganz ehrlich, ich habe mich oft dafür in all den Jahren der Produktion verflucht, weil es wirklich nicht einfach war! Chris war der Held Ihrer Kindheit, doch in Ihrem Film beginnt die Heldenfassade mit jeder Minute mehr zu bröckeln. Lernten Sie die dunklen Seiten Ihres Cousins erst während der Recherche kennen oder wussten Sie schon vorher davon? Chris trug eine Söldneruniform, als er tot aufgefunden wurde. Verschiedene Journalisten haben damals auch etwas recherchiert. Wir haben als Familie also gewusst, dass etwas nicht stimmt. Auch den Namen Florez kannten wir schon, jenen Kommandanten der Söldnerbrigade, den ich im Film als «bad guy» darstelle, und der wie Chris ursprünglich Journalist war. Als dann aber dieser Florez noch während den Recherchen für meinen Abschlussfilm ebenfalls umgebracht worden ist, entstand eigentlich erstmals die Idee, dass es spannend wäre, diesem Thema in einem grösseren Film vertieft nachzugehen. Und wie reagierte Ihre Familie auf dieses Vorhaben? Das war für mich der kritischste Moment überhaupt, denn ich bin ja nicht nur Regisseurin, sondern auch Familienmitglied. Ich habe meiner Familie deshalb schon ganz am Anfang klar mitgeteilt, dass sie mir vertrauen müssen. Sie sind glücklicherweise darauf eingestiegen, sonst hätte ich diesen Film nicht machen können. Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie Dunkles über Ihren Cousin ausbuddeln würden? Meine Familie wusste von Anfang an, dass es mir nicht darum ging, Chris als Held darzustellen, sondern darum, möglichst nah an die Wahrheit ranzukommen. Dass dabei vielleicht auch Dinge rauskommen würden, die ihn in ein schlechtes Licht stellten, mussten wir dabei in Kauf nehmen. Der Bruder von Chris nennt ihn im Film ja irgendwann ein Arschloch. Doch in diesem «Arschloch» steckt eine ganze Palette von Gefühlen mit drin: der Schmerz, die Liebe, die Enttäuschung. Ich denke, dass genau dieses Gefühl repräsentativ ist auch für andere Familien, die vielleicht einen Extremsportler in der Familie haben, einen Workaholic oder sonst jemanden, der mit seiner extremen Lebensweise die ganze Familie beeinträchtigt. Wir haben beim Rohschnitt lange darüber geredet, ob der Ausdruck Arschloch zu hart ist oder nicht. Ich bin der Meinung, dass es richtig war es drin zu lassen. Ich spürte, dass Chris’ Bruder diesen Kraftausdruck verwendete, weil er Chris eben gerne hatte und ihn vermisst.