Isolationismus in Europa wurde nie so breit diskutiert wie nach der Weltpremiere von «Heimatland» in Locarno. Und jetzt schauen wir mal, ob und wie der öffentliche Diskurs über die Entstehung von Gewalt und jener über Männlichkeit und Gewalt mit «Der Läufer» angefeuert wird. In unseren ersten Begegnungen mit einer Regisseurin oder einem Regisseur geht es also immer darum, herauszufinden, ob wir uns einig werden über die Diskussion, die wir auslösen wollen und können, wenn der Film herauskommt. Und mit diesem Schlussziel vor Augen werden die Tausenden von Fragen im Verlaufe der Filmentwicklung und -entstehung wie automatisch beantwortet: Wie muss der Film gestaltet sein? Um welches Genre handelt es sich? Mit welchen Schauspieler*innen soll er besetzt werden, damit wir unser gemeinsames Ziel erreichen? Diese sehr konzeptionelle Vorgehensweise erinnert an Ihre berufliche Herkunft: Sowohl Sie selber wie auch einer Ihrer Produktionspartner, Urs Frey, waren jahrelang in der Werbung tätig, bevor Sie zusammen die «Contrast Film» gründeten. Es kann tatsächlich sein, dass wir das in der Werbung gelernt haben, schon im voraus ein Paket zu schnüren und uns die Marketing-Ebene zu überlegen. Auch wenn das nun blöd tönen mag, da es uns natürlich um sehr viel mehr geht, als um Marketing und Verkaufszahlen. Deshalb sind wir ja damals von der Werbung weg und hin zum Film: Weil wir Themen sehen, die uns als Privatpersonen am Herzen liegen und denen wir mit engagierten Filmen eine Visibilität geben möchten. Und wie sind Sie darauf gekommen, der Psyche eines Serientäters Visibilität geben zu wollen, wie es bei Ihrem jüngsten Film «Der Läufer» der Fall ist? Die Geschichte basiert auf einem wahren Kriminalfall, der sich um die Jahrtausendwende in Bern ereignete. Stefan Eichenberger, unser dritter Contrast-Partner, hat den Fall damals persönlich miterlebt. Zum einen, weil er selber aus Bern ist und seine Schwestern sich in dieser Zeit nicht mehr aus dem Haus trauten – zum anderen war Stefan früher selbst Laufsportler und hat sogar zusammen mit dem Täter an Wettläufen teilgenommen. Die ganze Geschichte hat ihn deshalb sehr aufgewühlt. Er war es deshalb, der 2012 dem Regisseur Hannes Baumgartner das Thema vorschlug. Er kannte Hannes von der Filmschule und wusste, dass die Thematik zu ihm passen würde, da Hannes sich immer wieder in seinen Filmen mit jungen Männern in Verzweiflungssituationen befasst. *Welches ist für Sie der wichtigste Input, den Sie als Produzenten Hannes Baumgartner für diesen Film haben geben können?* Dass wir es schafften, einen Film zu realisieren, der die Komplexität der Situation aufzeigt: diese Hilflosigkeit auf beiden Seiten, vom Täter und von den Opfern – und vom Täter, der ja eigentlich selber auch ein Opfer ist. Das war eine ganz bewusste Entscheidung, die wir mit Hannes ganz zu Beginn unserer Zusammenarbeit getroffen haben: Wir wollten einen beobachtenden Film realisieren, der urteilsfrei alle Informationen auf den Tisch legt, so dass die Zuschauenden selber entscheiden, ob sie mit dem Protagonisten mitfühlen oder ihn hassen. Wir wollten diese Verantwortung also ganz und gar den Zuschauenden überlassen, das war unsere grosse Hoffnung und unser Ziel. Nur - wie schafft man so etwas? Es gilt, bei jeder kleinsten kreativen Entscheidung die richtige Haltung zu suchen. Also beispielsweise möglichst wenige filmische Mittel zu nutzen, die die Zuschauer in die eine oder andere Interpretationsrichtung beeinflussen. Darum fanden wir