In Ihrem neuesten Film haut ein sympathischer, eher sanft wirkender junger Mann, der perfekt schweizerdeutsch redet, von daheim ab, um für die Terror-Miliz IS zu kämpfen. Es ist nicht das Bild, das wir in unserem Kopf haben, wenn wir an einen IS- Terroristen denken… Ich war 2014 mit der Montage meines letzten Films ‹Köpek› beschäftigt, als mich eine Bekannte anrief und erzählte, dass ihr Neffe versucht habe, nach Syrien zum IS zu reisen. Er sei glücklicherweise kurz vor dem Grenzübertritt von seinem Vater und seinem Onkel abgefangen und in die Schweiz zurückgebracht worden. Der junge Mann befinde sich derzeit unter strengem Hausarrest und seine Familie wäre dankbar, wenn ich mit dem Jungen reden und ihn hoffentlich zur Besinnung bringen würde. Und? Ich bin zu dieser Familie gegangen und habe dann zuerst gestaunt: Der Junge stammte nämlich aus einem recht liberalen türkischen Umfeld, denn sie sind Aleviten. Bei den Aleviten, so muss man wissen, sind die Frauen gleichberechtigt und es gibt keinerlei Zwang, in die Moschee zu gehen – es handelt sich also um eine komplett andere Welt als bei strenggläubigen Sunniten oder Salafisten. Auch machte der Junge auf mich einen durchaus intelligenten, ja vernünftigen Eindruck – und dennoch war er felsenfest davon überzeugt, dass es richtig sei, in den ‹Heiligen Krieg› zu ziehen. Ich konnte leider wirklich nichts an seiner Gesinnung ändern. Sind Sie selber religiös erzogen worden? Nein, meine Eltern sind Atheisten. Den Islam habe ich als Kind und Jugendliche nicht gross gekannt. Ich habe erst hier in der Schweiz angefangen, mich intensiver damit auseinanderzusetzen, als ich 2008 an der Uni Zürich anfing Islamwissenschaften zu studieren. Dies vor allem aus Neugier, weil ich mehr wissen wollte über die Kultur meines Herkunftslandes. Sie sind mit 19 in die Schweiz übersiedelt, so viel wir gehört haben aus politischen Gründen… Mein Aufenthaltsrecht in der Schweiz bekam ich durch meine Ehe, obwohl ich durchaus politisches Asyl hätte beantragen können. Ich war damals, als 19-jährige in der Türkei, bereits 6 Monate im Gefängnis gewesen – wegen etwas so Harmlosem wie dem Verteilen von Flugblättern. Es drohte mir eine Haftstrafe von 15 Jahren. Als dann mein damaliger Mann in der Schweiz politisches Asyl erhielt, beschloss ich, ihm nachzureisen, da ich wirklich grosse Angst hatte. Ihre Filme sind ziemlich system- und gesellschaftskritisch. Wie kommt es, dass man Sie trotzdem in der Türkei drehen lässt? Bei ‹Köpek› erhielten wir eine offizielle Drehbewilligung, indem wir das Drehbuch kaschierten: Aus dem eingereichten Drehbuch ging nicht hervor, dass es sich bei unserer Protagonistin um eine Transfrau handelte. Bei ‹Al-Shafaq› hingegen wurde uns die Drehbewilligung verweigert. Seit dem Ausnahmezustand 2016 gelten in der Türkei andere Gesetze. Es ist nicht mehr das Kulturministerium, das entscheidet, sondern das Innen- und Aussenministerium. Für mich stand ausser Frage, in der Türkei zu drehen und ich wurde glücklicherweise von mutigen Schweizer Produzentinnen und auch von unserem türkischen Line-Producer in