beeindruckendes Unterfangen kann beginnen. Bald setzt der durchdringende Lärm eines Presslufthammers ein, um Löcher in die Erde zu bohren. Das Aufstellen von unendlich langen Holzwänden soll jegliches unbefugte Betreten verhindern. Man sieht ein paar Arbeiter, die diese Arbeit verrichten, gemächlich, in einer fast leeren Umgebung. Es könnte auch ein Stück Wüste sein. Aber dann kommt allmählich Leben auf, die Bilder beginnen sich zu füllen, mit Menschen – Männern – zuerst sind es Planer, Ingenieure, Architekten, Vermesser. Später erscheinen die ersten Bauarbeiter, die orangen, die grün-orangen, die gelben, die blauen, die weiss-roten, die von Marti, Anliker, Eberhard, Arge, hrs, dem Kopf des ganzen Unternehmens. Es sind die kleinen Geschichten, die dem Film etwas Poetisches, Eindringliches verleihen, auch etwas zutiefst Menschliches. Wir werden Zeugen von Verborgenem: ein sich küssendes Liebespaar auf einem Parkplatz, einzelne Figuren, denen Thomas Imbach nachgeht, lange nachgeht. Er lässt sich Zeit, keine Hetze: Ein Fuchs, der sich auf dem Bauplatz umsieht, ein nächtlicher Spaziergang eines Mannes mit seinem Hund, Sightseeing-Touren auf dem Bau- Areal, ein Arbeiter, der fast liebevoll den restlichen Sand eines entladenen Güterwagons wegwischt, das Verteilen von Osterhasen, einen für jeden, und wie sie sich freuen, die starken, unverwüstlichen Bauarbeiter, die vor Wind, Regen und Schnee nicht zurückschrecken, harte Kerle, vor allem die aus Südeuropa, die Archaischen, oft von ländlicher Herkunft, stolz sind sie auf ihr Können, auf ihre Teilhabe an einem grossen Bauwerk. Und habe ich auf dem Balkon einer Holzbaracke – wohl eines der Baubüros – nicht kurz Tomatenstauden gesichtet, blühende Stauden? Es sind faszinierende Aufnahmen, die sich durch «Nemesis» durchziehen. Immer vom Fenster der Wohnung des Regisseurs aus gedreht. Man hört Stimmengewirr, und ohne etwas zu verstehen, aber man kann sich einen Reim daraus machen. Und dann sind da die wunderbaren Texte, wenige, aber berührende. Über Freunde, die nicht mehr sind, wie der Filmemacher Peter Liechti, verwoben mit beklemmenden Aussagen von Asylbewerbern, die in Ausschaffungshaft sind. Diese traurigen Geschichten knüpfen an das an, was auf dem grossen Feld auch gebaut wird – eben ein Gefängnis. Meisterlich ist der Film auch in der Montage. Da tanzen Baukräne im Abendrot und mit Sand beladene Lastwagen fahren die Rampen rauf und runter. Im Schnellgang, ein vergnügliches Spektakel. Gedreht wurde analog auf 35 mm, meistens 3 Bilder/Sekunde, um den Zeitraffer möglich zu machen und auch um Zeit und Geld zu sparen. Da beim Drehen keine Direkttöne aufgenommen wurden, haben Thomas Imbach und Peter Bräcker für das Sound-Design alles gegeben. Eine beeindruckende Tonspur wurde kreiert, komponiert, mit Geräuschen, Effekten und Songs, die Hand in Hand gehen und die Aussage der Bilder verstärkt: eine äusserst aufwendige Arbeit, die zum Gelingen dieses aussergewöhnlichen Films beiträgt. «Nemesis» ist ein wichtiges Stück Kino, das den Menschen in der heutigen Zeit ins Zentrum stellt. Nemesis die griechische Rachegöttin, die Göttin des gerechten Zorns, der ausgleichenden Gerechtigkeit. Sie hat uns einiges zu sagen! Madeleine Hirsiger, arttv.ch