REZENSION MADELEINE HIRSIGER DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE (I) «Das Mädchen und die Spinne» ist ein «anderer» Film, einer, der sich in keine Kategorie einordnen lässt: Er ist ein Zustand: äusserlich bewegt sich wenig, dafür umso mehr in den Seelen und Gefühlen der anwesenden Personen. Es gibt nur einen Fakt: Lisa (Liliane Amuat) zieht aus, ihre Freundin Mara (Henriette Confurius) bleibt zurück. Es wird gezügelt und die Wohnung wird zur Ameisenstrasse im Bau, es ist eng, ein emsiges Hin- und Her von Freundinnen, der Mutter (Ursina Lardi), es wird gepackt, in Kisten verstaut, Handwerker renovieren, man kommt fast nicht aneinander vorbei, die Nachbarn tauchen auf, bringen ihre Kinder mit und ein Hund ist auch noch da. Es herrscht ein Durcheinander und doch gibt es eine Art Logik. Es ist eine Inszenierung, mal ballettartig, mal wie ein Kammerspiel, ohne abrupte Bewegungen, alles ist fliessend. Die Emotionen, die der Wegzug von Lisa auslösen, sind das Fesselnde in diesem Film. Erotische Regungen, Begehrlichkeiten, Sehnsüchte, Ängste, Sympathien erzeugen einen Sog, genauso wie das Wissen, dass die Zeit Veränderungen nicht aufhalten kann. Und dann ist da noch die bestechende Kamera von Alex Hasskerl, der die Blicke auf den Gesichtern ruhen lässt. Immer wieder. So viel Intimität muss man erst mal aus- und durchhalten können. Und die Spinne? In einer kurzen Szene krabbelt sie von den Händen Maras auf den Arm von Lisa – ein symbolisches Zeichen tiefer Verbundenheit. Es gelingt den Zwillingsbrüdern Ramon und Silvan Zürcher, uns mit ihrer eigenwilligen Umsetzung des Geschehens zu fesseln, und uns mit ihren zum Teil märchenhaften Dialogen von einer realen Ebene in eine Leichtigkeit hineinzuführen, in der wir gerne verharren. «Das Mädchen und die Spinne» ist ein äusserst sorgfältig komponierter Film, der auch grossen Wert auf die Tonspur setzt (Sound Design: Denis Séchaud, Ton: Balthasar Jucker). Die Geräusche und Töne sind derart klar herausgearbeitet, dass sie eine zusätzliche Dimension bilden, die dem Film eine besondere Faszination verleihen. «Das Mädchen und die Spinne» hatte dieses Jahr an der Berlinale in der neu geschaffenen Sektion «Encounter» den Regiepreis gewonnen. Die Sektion soll «ästhetisch und strukturell wagemutigen Arbeiten von unabhängigen, innovativen Filmschaffenden eine Plattform bieten». Das trifft für den Film der 39jährigen Brüder Zürcher aus Aarberg voll zu. Mit ihrer ausgeklügelten, gekonnten Inszenierung haben sie ein einzigartiges Werk geschaffen. Ein poetisches Kunstwerk!