Leseprobe Alle im Dorf sind auf Föhn vorbereitet. Pflänzchen werden abends möglichst nahe an die Hausfassade gestellt, nichts im Dorf hängt irgendwo, es gibt keine Dekosterne oder Laternen, keine Hängepflanzen, nichts, was bloss an einem Faden oder Seil befestigt ist. Seit Frau Baumanns Spitzenunterwäsche bei Heidi im Garten gelandet ist, meiden es die Dorfbewohner, Wäsche draussen zum Trocknen aufzuhängen. Ausser Gianna, die lüftet ihre Wollpullover an einem Kleiderbügel, den sie an den Fensterladen hängt … Adriana mag den Föhn in seinen Anfängen. Wenn er sich ankündigt, beschleicht sie die Erwartung, dass etwas Bedeutendes passieren wird. Vielleicht weil der Wind sie dann anschiebt, wenn sie nach Hause läuft. Aber schlussendlich ist es doch nur Föhn. Er zerrt am Haus, heult durch die Ritzen des Balkongeländers, zerrt an einem selbst und an den Nerven. Nirgendwo ist es still. Das Haus knarzt und man hört es dauernd irgendwo knallen, wie auf einer Baustelle. Sogar das Wasser im Klo schwappt. Bei Föhn ist es unmöglich, durchs Leben zu schleichen. Sobald jemand ein Fenster öffnet, knallt irgendwo eine Tür. Der Föhn wirbelt alles und alle durcheinander. Und wenn er zusammenfällt, dann regnet es so, dass man die Berge nicht mehr sieht. Erschöpfung breitet sich aus. Die Bäume und Einwohner sind froh, dass niemand mehr an ihnen zerrt